Jeannine Koch, geschäftsführende Vorstandsvorsitzende media:net berlinbrandenburg e.V. und Co-Geschäftsführerin MediaTech Hub Potsdam, spricht in unserer Interview-Reihe #persönlich im Februar über permanente Unplanbarkeit, fehlende Serendipity, Kaffeeduft als Erinnerungsanker und das #SoulFoodFestival. Nominiert hatte sie im Januar David Friedrich-Schmidt.
tw tagungswirtschaft: Wie geht es Ihnen?
Eine Mischung aus etwas müde und voller Tatendrang! Ich erlebe diesen Gemütszustand derzeit bei einigen meiner Mitmenschen – manchmal bricht er sich regelrecht hysterisch Bahn. Es ist eine nach wie vor sehr anstrengende Zeit. Vor allem, wenn man im Veranstaltungsbereich arbeitet – und das ist ein wesentlicher Teil des Angebots von medianet – hat man mit der permanenten Unplanbarkeit zu tun. Die Ungewissheit darüber, wann physische Treffen wieder regulär und mit Freude stattfinden können, ist etwas zermürbend. Auf der anderen Seite bleibt eben auch etwas Zeit, um strategische Dinge voranzutreiben, das ist auf jeden Fall die positive Kehrseite der Medaille.
Welche Nachricht oder Neuigkeit beschäftigt Sie aktuell?
Dass die Anwesenheitsdokumentation ab dem 5. Februar 2022 in Berlin abgeschafft wird und dass es dadurch vielleicht einen Ausblick auf weitere Öffnungsoptionen für die Veranstaltungsbranche gibt …
Mit welcher Herausforderung kämpfen Sie gerade?
Wie viele meiner Mitstreiter*innen kämpfe ich mit der Frage, wie ich meinen Mitgliedern im medianet, auch trotz der veränderten Lage, in der wir uns seit 2020 befinden, weiterhin tolle Vernetzungsangebote machen kann. Dafür gibt es inzwischen zahlreiche virtuelle Formate und einige davon funktionieren hervorragend, die werden wir auch weiterhin fortführen. Aber generell betrachtet geht es bei einem Netzwerk ja um eine Community, die miteinander voneinander profitieren möchte. Die Serendipity – also die Zufälligkeit der Begegnungen – auf physischen Veranstaltungen, ermöglicht es, dass sich ganz unterschiedliche Menschen mit oft gegensätzlichen Aufgabenstellungen und Mindsets treffen, austauschen und daraus etwas Neues entstehen lassen. So funktioniert Innovation. Und das möchte ich im Netzwerk – egal in welcher globalen Lage wir uns gerade befinden – weiterhin ermöglichen. Hier lernen wir täglich dazu.
(Über-)Leben mit Covid-19: Was ist Ihr größtes Learning?
Mein größtes Learning ist, dass die Veränderung unsere beständigste Begleiterin ist. Nichts bleibt für die Ewigkeit, und es lohnt sich flexibel und agil zu sein, um sich neuen Gegebenheiten anpassen zu können. Außerdem ist mir sehr deutlich geworden, dass wir Menschen nicht nur sozial, sondern auch kognitiv von echten Begegnungen leben. Ich treffe seit Beginn beim medianet, meine knapp 500 Mitglieder, zahlreichen Partner, Sponsoren, Politiker*innen, Kolleg*innen fast ausschließlich virtuell. Das ist aus meiner Sicht eine kognitive Höchstleistung, denn anders als bei physischen Treffen, bei denen sich der Raum verändert, Menschen dreidimensional erscheinen, der Anfahrtsweg und der Kaffeeduft im Meeting wichtige Erinnerungsanker setzen, vor allem in der Verarbeitung der Informationen, findet all das bei virtuellen Treffen nicht statt. Die Meetings verschwimmen, das Gesagte muss zwingend schriftlich festgehalten werden, da es sich sonst mit dem Meeting davor oder danach vermischt. All das fordert die täglichen Ressourcen von uns allen auf eine ganz neue Art und Weise. Ich glaube, wir haben noch nicht gelernt, hier Anpassungen, z.B. was Pausen zur Erholung und zur Informationsverarbeitung angeht, vorzunehmen.
Woher nehmen Sie Ihre Kraft?
Aus den Begegnungen mit inspirierenden Menschen. Außerdem tanke ich aktuell Kraft beim Cycling – und natürlich sind Ruhephasen, gerne mit einem schönen Buch oder beim Spaziergang in der Natur, wahnsinnig wichtig!
Welche Chancen sehen Sie in der Corona-Krise?
Dass viele Dinge, die unter der Oberfläche ohnehin schon lange brodelten, weil sie gesellschaftlich (New Work, Bildung, Nachhaltigkeit) oder infrastrukturell (Digitalisierung, Breitbandausbau, Verwaltung), einfach ein Update benötigten, nun in einem Turbo und mit einer nie dagewesenen Wucht, sichtbar wurden. Wir sind dazu gezwungen, umzudenken und unser Handeln zu hinterfragen und eben auch Schlüsse daraus zu ziehen und Aktionen abzuleiten. Ein nie dagewesener Paradigmenwechsel in einer derart komprimierten Zeitspanne, die normalerweise sicherlich mindestens eine weitere Generation angedauert hätte.
Eine Fee kommt vorbei, und Sie dürfen sich einen Kongress wünschen. Wie sähe dieser aus?
In jedem Fall ein Kongress mit Interaktion und unerwarteten Entdeckungsmöglichkeiten. Visuell ansprechend und niedrigschwellig zugängig – damit meine ich vor allem, dass man durch Design, Architektur, Set Up und Licht nicht abgeschreckt wird, in die Räume hineinzugehen. Ich mag „Kongresse // Konferenzen // Veranstaltungen“, die mich an die Hand nehmen und durchführen, kein Labyrinth, sondern gerne eine Geschichte, die erzählt wird. Mir muss klar sein, warum es diese Veranstaltung gibt, wer damit angesprochen werden soll und was ich als Teilnehmerin davon habe, dabei zu sein. Bitte keine Empowerment-Frontal-Beschallung und keinen Xten-Ted-Talk, sondern etwas mit Seele und gern auch mit Musik. Eher eigentlich ein Festival als ein Kongress. Genau, und deshalb heißt der „Kongress“ bei mir auch: #SoulFoodFestival.
Welche Frage fehlt Ihnen?
Was machen Sie als Erstes, wenn diese Pandemie vorbei ist? :D
Wessen Antworten möchten Sie hier als Nächstes lesen?
Als Nächstes möchte ich hier die Antworten von Martin Eyerer lesen. Martin ist ein wahnsinnig umtriebiger Unternehmer, ein beeindruckender Netzwerker und ein inspirierender Mensch. Er ist CEO der Factory Berlin, Co-Founder der Riverside Studios in Berlin und ein international bekannter DJ. Kerstin Wünsch